DIE FLIESE, WARUM DINGE MANCHMAL ETWAS LÄNGER DAUERN.
Wir kommen in unserem Bungalow an und mitten im Raum steht ein Sofa. Damit die Kinder nicht permanent darauf rumspringen und wir nicht immer beim Vorbeigehen uns schlank machen müssen, schiebe ich das Sofa in die leere Ecke. Die Geschichte die nun beginnt könnte auch von Loriot sein. Sie unterstreicht aber auch warum in anderen Ländern die Dinge anders funktionieren und welchen Anspruch an Perfektion man in der westlichen Welt mittlerweile hat.
Die Fliese
Unter dem Sofa liegt eine Fliese, 20x20cm groß. Sie liegt auf den anderen Fliesen lose obenauf. Nachdem ich das Sofa bereits beiseite geschoben habe, will ich auch noch die Fliese aus dem Weg räumen. Allerdings ist unter der Fliese ein Loch. 5cm Tief, mitten im Bungalow. Die Fliesen drumherum sind passend für das Loch ausgesägt. Mit meinen typischen Gedanken fange ich an zu analysieren: War hier ein Abfluss? Wurde ein Mauer versetzt? Stand hier ein Pfeiler? Wollte der Fliesenleger ein passendes Muster legen? Ich finde leider keine passende Antwort. Ich frage den Eigentümer und bekomme zu hören: „Unglaublich, das habe ich schon 100x gesagt. Wurde es denn immernoch nicht erledigt?“ Ich merke den Zorn, aber eine Antwort auf meine Frage habe ich noch immer nicht. Ich biete an, die Fliese einzusetzen. Kann ja nicht so schwer sein, denke ich mir. Zu Hause habe ich meinem Vater auch schon öfter beim Fliesen legen geholfen und eine kleine Fliese kann kaum länger als eine Stunde in Anspruch nehmen.
Die geschnittene Fliese
Ich entferne den Sand aus dem Loch mit den blossen Händen. Mir laufen Spinnen und eine Kakerlake über die Finger. Aber die sollten für lange Zeit die „aktivsten“ auf meiner Baustelle sein. Ich muss überflüssige Reste der alten Fliese entfernen, um die neue Fliese einsetzen zu können. Nach drei Tagen weiteren Fragens bekomme ich endlich Werkzeug. Ein Set, bestehend aus einem Schraubendreher, einer Wasserpumpenzange und einem Cuttermesser mit rostiger Klinge. Mit der Wasserpumpenzange schlage ich auf den Kopf des Schraubendrehers, den ich wie ein Meissel einsetze. Die Fliesen scheinen eine bessere Qualität zu haben, als der Schraubendreher. Aber nach einer halben Stunde schweißtreibender Arbeit habe ich die letzten Fliesenreste rausbekommen. Eine Flex wurde mir seit 3 Tagen ebenfalls versprochen.
WERKZEUG = FEHLANZEIGE!
Das Loch ist größer und die Fliese muss noch zugeschnitten werden. Ich warte weiterhin auf die Flex. Weiter 5 Tage! später halte ich eine Flex in der Hand. Ein kurzer Aufschrei der Begeisterung steigt in mir auf. Ich sehe mein Projekt „Fliese“ nun kurz vor der Vollendung. Was soll mich jetzt noch stoppen? Nun ja, wenige Augenblicke später realisiere ich, dass der Flex keine Trennscheibe beiliegt. Meine Arbeit ist also wieder gestoppt. Gemeinsam mit der Eigentümerin suchen wir sämtliche Schubladen des Hauses ab und werden nicht fündig. „Die muss der Angestelle „xzy“ haben!“ meint sie. Und man ahnt es schon, der Angestellte hat gerade frei. Er kommt nach dem Wochenende aus dem Kurzurlaub zurück und wieder ruht meine Baustelle. Nach dem Wochenende wird dem Angestellten einiges an Aufgaben übergeben, sodass ich mit meiner kleinen „Fliese“ nicht dazwischengrätschen will. Weitere zwei Tage später schaffe ich es dem Angestellten meine Mini Baustelle zu zeigen und zu erklären was ich alles benötige. Er nickt, verschwindet und kommt nicht mehr zurück.
Die Fliese zeichne ich an und bitte die Eigentümerin sie im Dorf passend schneiden zu lassen. Mittlerweile habe ich auch herausgefunden, dass kein Zement zur Hand ist. Vielleicht kann Sie mir beides im Dorf erledigen, das wäre doch mal effektiv. Beides wird erledigt innerhalb eines Tages und ich denke schon fast an ein Wunder. Nun müssen nur noch zwei kleine Kanten aus den alten Fliesen rausgetrennt werden und den Rest könnte ich alleine machen. Aber man ahnt es schon – es soll einfach nicht so kommen.
ICH GEBE AUF!
Nach vier Wochen, schiebe ich die Fliese wieder über das Loch. Vorsichtig schiebe ich das Sofa wieder in die Mitte des Raumes, damit keiner stolpert und wundere mich mittlerweile über nichts mehr.
Fliese und Zement
Abends erklärt mir der Eigentümer, dass es nicht selten vorkommt, dass bestellte Handwerker komplett ohne Werkzeug auf der Baustelle ankommen. Da wird sich dann alles geliehen. Im deutschen Handwerker-Ausbildungssystem lernen Handwerker erst einmal sich Ihre eigenen Werkzeuge herzustellen. Ein deutscher Fliesenleger hätte keine 20 Minuten gebraucht. In anderen Teilen der Welt, dauert es eben ein wenig länger.
Es ist schön zu wissen, dass unser Heimatland eine so hohe Qualität der Ausbildung hat. Aber zu wissen, dass es auch anders geht, ist auch ganz nett.